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Der Blick hinter die Kulisse der Fussball-EM 2024

Die emotionale Achterbahnfahrt bis ins Viertelfinale

20.04.2025 Nico Bollinger

Ganz Europa wurde letzten Sommer vom Fussballfieber gepackt und die EM 2024 lockte die besten Spieler und viele Fans nach Deutschland für ein riesiges Fussballspektakel. Dabei zeigte sich die Schweizer Nationalmannschaft erneut von ihrer besten Seite und hat die ganze Schweiz in Ekstase versetzt.

Unser Reporter Nico Bollinger war nicht nur dabei, sondern mittendrin in diesem Fussballfest an verschiedenen Orten in Deutschland. Er nimmt euch in seiner Diplomarbeit mit auf seine Reise und gibt euch einen Einblick in das Leben eines Journalisten während eines solchen Grossanlasses.

Die Vorbereitung

Die Reise an die Fussball-Europameisterschaft in Deutschland fing allerdings nicht mit der ersten Zugfahrt an, sondern schon gut ein halbes Jahr bevor der erste Ball in den Stadien gespielt wurde. Die UEFA, die Organisation, welche in Europa für die internationalen Turniere zuständig ist, ist sehr strikt bei der Auswahl von Personen an ihren Anlässen. Deshalb musste ich mich und Radio Munot schon im Januar von der zuständigen Abteilung prüfen lassen. Was nach einem einfachen Prozedere klingt, dauerte im Endeffekt über vier Monate. Erst zwei Wochen vor dem ersten Gruppenspiel der Schweiz erhielt ich die offizielle Akkreditierung für die Europameisterschaft.

Die Reise

Um die Kosten möglichst tief zu halten, habe ich den Grossteil der Reisen mit dem Zug absolviert. Da die Spiele der Schweizer Nati in ganz Deutschland (Köln, Frankfurt, Berlin und Düsseldorf) verteilt waren und ich zwischen den Spielen wieder zurück nach Schaffhausen musste, sass ich über 50 Stunden in den Zugabteilen.

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Die Reisewege mit dem Zug an die verschiedenen Austragungsorte Nico Bollinger

Dafür fühlte es sich dann umso besser an, wenn man sich im Zug in seinem Sitz niederlassen konnte, umgeben von vielen Fans aus der Schweiz, die schon im Zug Stimmung machten. Singend, johlend und vor allem auch trinkend verkürzten sich die Fans so die Fahrzeit. Die einen sogar mit ihrem privaten Bierfass auf dem Zugtischchen.

Das Leben vor Ort

Diese erholsame Ruhe währte jeweils nur kurz: Sobald ich einen Schritt aus dem Zug machte, erfasste mich die Fussballstimmung der elektrisierten Menschenmenge. Sofort schoss das Adrenalin in meine Adern und ich wurde Teil der Fussballfanmassen. Nur kurz ins Hotel, um die hinderlichen Taschen abzulegen, und sofort ging es auch schon wieder ins Getümmel.

Alles befand sich im Ausnahmezustand. Niemand konnte der Faszination der breiten Masse für Fussball entgehen. Dank der guten sportlichen Leistungen der Schweiz und des Gastgebers Deutschland war die Euphorie die ganze Zeit über spürbar. Überall gefüllte Bars, zahllose Public Viewings und riesige, eigens aufgebaute Fan-Zonen. In der feiernden und zumeist gut angetrunkenen Menschenmasse traf man viele Vertreterinnen und Vertreter aller beteiligten Nationen: Niederlande, Schottland, Ungarn, Frankreich, Tschechien, Albanien, England, Georgien, um nur einige zu nennen.

Auch wenn das Treiben vor Ort zum Eintauchen in das Fanleben einlud, rief am Abend vor den Spielen schon die Arbeit: In den um die Stadien errichteten Container-Siedlungen konnten Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit frönen und zudem im Stadion an den offiziellen Pressekonferenzen teilnehmen.

Jede Nationalmannschaft war verpflichtet, sich ein Tag vor den Spielen mit dem Trainer und einem Spieler den Fragen der Journalisten zu stellen. Dies war für mich auch die einzige Möglichkeit, mit dem Schweizer Nati-Trainer Murat Yakin in Kontakt zu treten. Vor und nach den Spielen stand er nicht für Fragen zu Verfügung. Von den über 50 Anwesenden Personen in dem Konferenzsaal doch etwas nervös gemacht, brauchte ich drei Spiele, bis ich mich endlich getraute, vor versammelter Belegschaft Murat Yakin zu befragen. Und ich muss sagen, für mich war dieser kleine Mutschub auch mein berufliches Highlight der EM 2024.

Tag X im Stadion

Mit schon etwas zittrigen Händen und schlotternden Knien ging es nach einer letzten Entspannungsphase erneut ins Getümmel der jetzt noch aufgeheizteren Fanmassen in den Städten. Die Strassen und Gassen waren dicht, ein Durchkommen glich einem Hindernisparcours. Einziger Ausweg: Die überfüllte Strassenbahn, die sich von dem ganzen Getümmel nicht aufhalten liess.

Beim Stadion angekommen, konnten die Vertreter der Presse einen separaten Eingang benutzen, um den langen Warteschlangen der anstehenden Fans zu entgehen. Dafür kam Flughafen-Feeling auf, da man noch durch zwei Sicherheitsschleusen musste und auch das Gepäck wurde auf das Genaueste durchleuchtet. Ohne den zu Beginn des Turniers erhaltenen Badge kam man erst gar nicht rein. Nach der Sicherheitskontrolle wurde man dann wieder Teil der Fanmassen, was ein schnelles Vorwärtskommen unmöglich machte.

Im Stadion, nach langem Anstehen und Warten endlich auf dem eigenen Sitzplatz angekommen, hiess es nur noch eins: Die Spiele der Schweizer Nati geniessen. Ohrenbetäubend war die Stimmung im Stadion. Die Schweizer Fans heizten richtig ein, Fangesänge statt Pfeifkonzerte, so wie man es sich bei einem guten Fussballspektakel wünscht. Schon bei der Nationalhymne schoss Adrenalin durch meine Blutbahnen und meine Nackenhaare sträubten sich. Ein letztes Mal noch das Mikrofon checken, damit nachher bei der Übertragung nichts schiefläuft. Zu fest eintauchen in die Emotionen darf man als Kommentator allerdings nicht. Der Fokus muss weiterhin auf dem Spielgeschehen liegen. Mit den Notizen auf den Knien und dem Mikrofon in der Hand habe ich so die Spiele der Schweiz aus den Deutschen Stadien nach Schaffhausen übertragen.

Das Nachspiel nach dem Spiel

In Windeseile vom obersten Tribünenrang ins Untergeschoss, zum Teil durch die Tiefgarage, bis hin zum blauen Teppich, der für die Spieler ausgerollt war. Also einfach Mikrofon rausholen und mit den Spielern reden. So einfach war es allerdings leider nicht.

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Ich musste viel Mut aufbringen, um die Spieler auch wirklich anzusprechen. Auch wenn sie den Feierabend schon vor Augen hatten, waren viele gerne bereit, noch ein paar Fragen zu beantworten. So konnte ich auch noch Interviews mit Schweizer Spielern wie Kwadwo Duah, Breel Embolo, Fabian Schär, Ricardo Rodriguez und deutschen Spielern wie Robert Andrich oder Maxi Beier ergattern.

Unter den vielen Bekanntschaften, die ich in den Katakomben der Stadien machen durfte, war auch noch eine besondere mit dabei: Ich habe nach dem Ausscheiden der Schweiz gegen England noch kurz mit dem Chefredaktor von Blue Sport, Andreas Böni, über seine bisherigen Erfahrungen an Grossanlässen sprechen dürfen und habe ihn da auch noch nach ein paar Tipps für meinen beruflichen Werdegang gefragt. Seine Weisheiten und Erfahrungen aus den über 20 Jahren im Geschäft kann ich nicht in ein paar Worten zusammenfassen. Deshalb könnt ihr das ganze Interview mit Andreas Böni selber anhören.

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Mit diesem Aufeinandertreffen der Generationen der journalistischen Erfahrung und einer über sechsstündigen Zugfahrt in die Heimat neigte sich mein EM-Abenteuer in Deutschland langsam aber sicher dem Ende zu. Einen letzten Höhepunkt aber hatte diese Reise zum Abschluss noch in Zürich.

Rückkehr der Helden

Kaum wieder in Schaffhausen angekommen, ging es am selben Tag weiter nach Zürich, wo die Schweizer Nationalmannschaft ein Tag nach dem EM-Aus von einer frenetisch jubelnden Masse empfangen wurde. Ich bin zwar schlecht im Schätzen, aber ich würde sagen, die Anzahl Fans bewegte sich im mittleren vierstelligen Bereich.

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Nach drei Wochen intensivster Arbeit, DB-geschädigt und einer regelrechten Odyssee durch Deutschland war diese Feier der erste Moment, in dem die Anspannung der letzten Wochen abfiel. Bis dahin konnte ich das ganze Erlebnis auch noch gar nicht begreifen, so akribisch war ich an die Sache herangegangen. Als dann die Spieler von den Fans nochmals bejubelt wurden, merkte ich erst, dass mein grosser Kindheitstraum in Erfüllung gegangen ist.

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Ich wollte schon als kleiner Bub einmal einen Match der Schweizer Nati kommentieren. Dies konnte ich erfreulicherweise während der Fussballeuropameisterschaft 2024 gleich vier Mal machen. Auch wenn es anstrengend war, ich würde es jederzeit wieder tun und freue mich schon jetzt auf die nächste WM in zwei, respektive EM in vier Jahren. Bis dahin heisst es jetzt aber erst einmal warten und wieder vor dem Fernseher mitfiebern.